28.05.2024
Versorgung Rheumabetroffener
Während der Sprechstunde: Möglichkeiten zur (zeit-)effizienteren Gestaltung
Der Mangel an Rheumatolog*innen erschwert die Versorgung von Rheuma-Patient*innen in Deutschland. Welche Maßnahmen können während der Sprechstunde ergriffen werden, um Kapazitäten zu schaffen und die Situation zu verbessern?
Auf der von AbbVie Deutschland initiierten Fortbildungsveranstaltung „Patientenversorgung neu denken. Mehr Kapazität. Mehr Qualität. Mehr Flexibilität.“* unter dem Vorsitz von Dr. Peer M. Aries, Hamburg, und Dr. Martin Welcker, Planegg, wurden verschiedene Strategien vorgestellt, um dem Kapazitätenmangel der Rheumatolog*innen entgegenzuwirken. Mögliche Ansatzpunkte zur Optimierung der Patient*innenversorgung ergeben sich unter anderem während der Sprechstunde. Unter dem Vorsitz von Dr. Peer M. Aries, Hamburg, wurde im zweiten Teil der Fortbildungsveranstaltung diskutiert, wie die Behandlung der Patient*innen in der Sprechstunde noch (zeit)-effizienter für das qualitative Ärzt*innen-/Patient*innengespräch gestaltet werden kann.
Der bundesweit enorme Mangel an Rheumatolog*innen macht es dringend erforderlich, weitere Kolleg*innen an der Betreuung von Menschen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zu beteiligen, damit eine adäquate Versorgung sichergestellt bleibt. Dr. Sandra Hermann, Berlin, berichtete von guten Erfahrungen aus einem Projekt, in dem 20 hausärztliche Kolleg*innen zweimal pro Jahr eine rheumatologische Fortbildung erhalten und bei den Patient*innen die Zwischenscreenings (ambulante Verlaufskontrollen) für die Rheumatolog*innen übernehmen. „Die Schulungen bringen viel: Es gibt erheblich weniger Rückfragen als früher, und auch die Voreinschätzungen bei Neu-Patient*innen sind sehr qualifiziert“, berichtete Hermann.
Etwas anders aufgestellt ist das „Rheumanetz Osthessen“, in dem die Primärversorgung von Patient*innen mit bekannten entzündlich-rheumatischen Diagnosen an so genannten Stützpunktpraxen erfolgt. Die Stützpunktpraxen stehen ständig „telemedizinisch“ mit dem MVZ Osthessen – Rheumatologie und der Medizinischen Klinik IV des Klinikums Fulda in Verbindung, sodass der Beitrag der dortigen Spezialist*innen bei Bedarf in die Versorgung mit einfließt. Weichenstellende Entscheidungen (etwa über den Einsatz von Biologika) bleiben immer dem Zentrum vorbehalten, dem damit eine wichtige Steuerungsfunktion zukommt. „Für diese Stützpunktpraxen hat die Landesärztekammer Hessen vorgegeben, dass die ärztlichen Kolleg*innen als Internist*innen weitergebildet sein müssen“, führte Prof. Dr. Peter Kern, Fulda, aus. Alle sechs Wochen findet als Vorgabe der KV ein Qualitätszirkel statt. „Das Projekt wurde 2013 mit dem Ziel gestartet, den gravierenden Mangel an internistisch-rheumatologischen Spezialist*innen in unserer Region wenigstens teilweise zu kompensieren. Seit 2016 besteht mit der AOK und mittlerweile mit zwei weiteren Kassen ein IV-Vertrag, der eine attraktive quartalsweise Vergütung für die Stützpunktpraxen und bei Inanspruchnahme auch für das Zentrum garantiert, jeweils on top zu der regulären KV-Vergütung“, erklärte Kern.
Der Lockdown während der Corona-Pandemie war für ambulante rheumatologische Patient*innen mit erheblichen Einschränkungen in der Versorgung verbunden. Letztendlich haben sich in dieser Zeit aber auch telemedizinische Angebote rasant entwickelt, von denen heute die Betroffenen profitieren, und die die Behandlung in der Sprechstunde deutlich effizienter machen.
Dr. Diana Vossen, Herne, berichtete in diesem Zusammenhang über die Einführung der Videosprechstunde für Erstvorstellende am Rheumazentrum Ruhrgebiet. „Die Videosprechstunden dauern maximal 15 Minuten und dienen einer ersten Beurteilung der Beschwerden und einer Besprechung von Laborergebnissen sowie Vorbefunden“, erläuterte Vossen. Bei Bedarf können Dolmetscher*innen zu der Videosprechstunde dazu gebeten werden. „Die Videosprechstunden sind auch für das ärztlichen Fachpersonal vorteilhaft und zudem familienfreundlich, weil sie aus dem Homeoffice heraus über eine sichere Verbindung zustande kommen“, machte Vossen deutlich. Ihrem Eindruck nach verlaufen die Online-Termine erheblich organisierter als Run-in-Sprechstunden in der Praxis, und die Patient*innen erscheinen praktisch immer pünktlich.
Heimarbeitsplätze können aber nicht nur für die ärztlichen Kolleg*innen, sondern auch für RFAs umgesetzt werden, betonte Dr. Martin Welcker, Planegg: „Das Einrichten der Homeoffice-Arbeitsplätze zu Beginn der Corona-Pandemie war für unsere Praxis zwar zunächst herausfordernd, aber heute wäre die Arbeit anders überhaupt nicht mehr vorstellbar, der Ablauf ist einfach glatter.“ Die RFAs können Anliegen wie beispielsweise Termin- und Rezeptanfragen von Patient*innen sowie Fachanfragen ärztlicher Kolleg*innen, die zuvor von KI-unterstützten automatischen Telefonassistenten wie dem System Praxis Concierge erfasst wurden, Schritt für Schritt abarbeiten.
Ein Modell, bei dem sich eine Hochschulambulanz mit einem MVZ mit dem Ziel vernetzt hat, die Versorgungslage in der Städteregion Aachen wieder zu verbessern, stellte Dr. Anna Flöge, Aachen vor. „Uns bietet sich mit dem Konstrukt die Chance, komplexe Patient*innen innerhalb des Verbunds überweisen zu können und sowohl die niedergelassene Arbeit als auch die Arbeit in der Hochschulambulanz kennenzulernen“, betonte die Rheumatologin.
Vernetzung spart Zeit
In rheumatologischen Praxen gibt viele Labordaten aus ebenso vielen Quellen, die – rechtssicher – zusammengeführt und verarbeitet werden müssen. Unterstützung bieten kann das elektronische Labor-Informationssystem für Arztpraxen eLIS*A. „Die All-in-One-Lösung vernetzt sämtliche Praxisbereiche miteinander, sodass den verschiedenen Benutzenden alle erforderlichen Labordaten in Echtzeit zur Verfügung stehen. Ein Statistik- und ein Rechnungsmodul ergänzen die Software“, führte Dr. Johannes Hornig, Osnabrück, aus.
Bereits weit entwickelt sind KI-Anwendungen in der bildgebenden Diagnostik. Prof. Dr. Denis Poddubnyy, Berlin, erläuterte, dass künstliche neuronale Netze die genaue Erkennung einer definitiven radiografischen Sakroiliitis als Ausdruck einer axSpA erlauben.1,2 „Die Leistungsfähigkeit der Netzwerke steht und fällt mit der Qualität des Gelernten und hängt somit von den eingesetzten Rohdaten ab“, unterstrich der Rheumatologe.
Dies zeigt sich auch beim mNAPSI (modifizierter Nail Psoriasis Severity Index), der laut Dr. Ioanna Minopoulou, Erlangen, entwickelt wurde, um den bei Patient*innen mit Psoriasis oder Psoriasis-Arthritis (PsA) häufig vorkommenden Nagelbefall automatisch und vor allem auch retrospektiv quantifizieren zu können. „Mit den verfügbaren Nagelbildern wurde ein neuronales Netz zur Klassifizierung des mNAPSI trainiert. Das Netzwerk erreicht schon eine recht gute Leistung, ist aber dennoch nicht genau genug, und muss deshalb weiterentwickelt und extern validiert werden“, sagte Minopoulou.3
Den Ultraschallroboter ARTHUR, bei dem KI die Gelenke von Menschen mit Rheumatoider Arthritis (RA) erkennt und die Ultraschallsonde automatisch steuert, stellte Prof. Dr. Oliver Sander, Düsseldorf, vor. „Anamnese, Untersuchung und Bildgebung erfordern viel Zeit und Handarbeit – da können Robotik und KI im klinischen Alltag eine gute Entlastung bieten“, so der Experte. Der Ultraschallroboter interagiert direkt mit dem zu Untersuchenden, ohne dass auf Ultraschall spezialisierte Untersuchende anwesend sein müssen. „Denkbar wäre, die Analyse ganz zu Beginn zu machen, noch vor Anamnese und klinischer Untersuchung, um eine Arthritis und Arthrose der Hände quantifizieren – beispielsweise wenn die Frage im Raum steht, ob eine Patientin oder ein Patient nicht nur an Psoriasis leidet, sondern ob auch die Gelenke betroffen sind“, erklärte Sander. Neben dem RA-Algorithmus befinden sich zurzeit weitere Analyse-Algorithmen, u. a. für PsA und Osteoarthritis in der Entwicklung.
* Versorgungssymposium „Sprechstunde neu denken: Mehr Kapazität. Mehr Qualität. Mehr Flexibilität.“, Lufthansa Trainingszentrum, Seeheim-Jugenheim, 01.-02. März 2024
- Bressem KK et al., Deep learning for detection of radiographic sacroiliitis: achieving expert-level performance. Arthritis Res Ther 2021; 23: 106.
- Poddubnyy D et al., Detection of radiographic sacroiliitis with an artificial neural network in pa-tients with suspicion of axial spondyloarthritis. Rheumatology (Oxford) 2021; 60: 5868–5869.
- Folle L et al., DeepNAPSI multi-reader nail psoriasis prediction using deep learning. Sci Rep 2023; 13: 5329.
Das könnte Sie auch interessieren:
Sorry, we couldn’t find any articles that match your chosen filters.
Reset filter to see all of our available articles.