19.07.2024
Von den Symptomen bis zur Therapie
Riesenzellarteriitis – keine Zeit zu zögern
Plötzliche Kopfschmerzen, allgemeines Krankheitsgefühl und Sehstörungen, die schnelle Handlung erfordern. Die Riesenzellarteriitis ist multifaktoriell und zählt zu den häufigsten Vaskulitiden im fortgeschrittenen Lebensalter.
Abb. 1: 4 Punkte zur Riesenzellarteriitis (GCA)
Definition
Die Riesenzellarteriitis (GCA, von giant cell arteritis), früher auch als Arteriitis temporalis bekannt, ist eine immunvermittelte Erkrankung, die durch entzündliche Prozesse in den Gefäßwänden großer und mittelgroßer Arterien gekennzeichnet ist.1,2
MEDIZINISCHER NOTFALL:
Die GCA muss umgehend diagnostiziert und behandelt werden, um einen dauerhaften Sehverlust und/oder einen Schlaganfall zu verhindern.3,4
Epidemiologie
Die GCA ist die häufigste Form der Vaskulitis bei Personen über 50 Jahren und tritt bei Frauen etwa doppelt so häufig auf wie bei Männern.1,5 Sie tritt äußerst selten bei Personen unter 50 Jahren auf, wobei über 80% der Betroffenen 70 Jahre oder älter sind.7, 35 Die weltweite Prävalenz wird auf rund 52 pro 100.000 Personen über 50 geschätzt, was etwa 0,05% der Weltbevölkerung entspricht.7,8 Die Inzidenz beträgt etwa 10 Fälle pro 100.000 Einwohner (über 50 Jahren) und zeigt ein deutliches Nord-Süd-Gefälle.5,7
Klinisches Erscheinungsbild
Abb. 2: Klinisches Erscheinungsbild
Die GCA betrifft vor allem die Aorta und ihre Hauptäste und äußert sich in einer Vielzahl klinischer Symptome, die sich je nach den betroffenen Arealen unterscheiden.1 Hierbei können sowohl kranielle (etwa 80 % der Betroffenen) als auch extrakranielle (auch LV-GCA, 30–80 % der Betroffenen) Symptome auftreten.11–13 Dank sensitiver bildgebender Verfahren ist heute bekannt, dass viele GCA-Betroffene sowohl eine kranielle als auch extrakranielle Beteiligung aufweisen.14 Weiterhin kann es bei einigen Betroffenen zu systemischen Entzündungsreaktionen und Symptomen einer Polymyalgia rheumatica (PMR) kommen.12
Ein Leitsymptom der GCA sind plötzlich auftretende, starke Kopfschmerzen, oft begleitet von einem allgemeinen Krankheitsgefühl, das Fieber, Gewichtsverlust und Nachtschweiß umfassen kann.12,15 Deshalb ist bei starken Kopfschmerzen in der Altersgruppe über 50 eine Untersuchung auf GCA ratsam.14 Eine weitere häufige Manifestation ist die erkennbare Entzündung der oberflächlichen Äste der Schläfenarterie (A. temporalis superficialis), die zu Überempfindlichkeit und Druckschmerzhaftigkeit führen kann.7,17
Eine Arteriitis der extrakraniellen Gefäße betrifft hauptsächlich die oberen Extremitäten, einschließlich der Arteria subclavia, der Arteria axillaris und der proximalen Arteria brachialis und tritt bei etwa 50 % der GCA-Betroffenen auf.14 Besonders kardiovaskuläre Ereignisse durch eine Aorta-Beteiligung sind bei GCA mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko verbunden.17
Zusätzlich zu Symptomen durch eine (extra-)kranielle Gefäßbeteiligung kann es zu systemischen Entzündungsreaktionen kommen, die bei etwa 50 % der Betroffenen auftreten und sich durch unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust manifestieren.4 Bei ausschließlicher Beteiligung der Aorta und/oder großer Arterien ohne ischämische Symptome können diese Symptome zusammen mit erhöhten serologischen Entzündungswerten (CRP, BSG) auf eine GCA hinweisen.18
Des Weiteren weisen Patient*innen mit GCA häufig auch Symptome einer PMR auf. Diese äußern sich vor allem durch Morgensteifigkeit, proximal betonte Myalgien an Oberarmen und Schultern sowie Schmerzen in der Muskulatur des Beckengürtels und der Oberschenkel.14,18
Langfristige Risiken spielen bei der GCA ebenfalls eine entscheidende Rolle. Vor allem bei einer GCA mit aortaler Beteiligung ist das Risiko für Aortenaneurysmen mit kardiovaskulären Komplikationen inklusive Dissektion hoch.17 Während Dissektionen und kardiovaskuläre Komplikationen bereits in den ersten Jahren der GCA-Manifestation auftreten können, entwickeln sich manifeste Aneurysmen verstärkt ab dem 5. Jahr nach Diagnosestellung und sind mit einem deutlich erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert.22 Eine regelmäßige Kontrolle auf diese Spätrisiken ist deshalb neben dem Erreichen einer langanhaltenden Remission von entscheidender Bedeutung.17
Abb. 3: Klinisches Erscheinungsbild
Besonderes Augenmerk gilt den Sehstörungen
Sehstörungen spielen eine entscheidende Rolle bei der GCA, da sie sich in bis zu 20% der Fälle zu einem dauerhaften Sehverlust entwickeln können.23 Warnzeichen einer okulären Beteiligung umfassen transiente oder permanente Sehstörungen wie Amaurosis fugax, Diplopie und akuten Visusverlust bis hin zur ein- oder beidseitigen Erblindung.7,17,24 Häufig ist eine anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION) die Ursache, die durch den entzündungsbedingten Verschluss der posterioren Ziliararterien mit nachfolgender Ischämie des Sehnervenkopfes entsteht.7, 14
WICHTIG:
Bei transienten Sehstörungen sollte umgehend eine Therapie eingeleitet werden.17
Nach dem Auftreten eines einseitigen Sehverlustes ist bei etwa 60 % der Patient*innen ohne Therapie innerhalb weniger Tage auch das andere Auge betroffen.14,17,25
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